Bayern – Warum es Teil meines Lebens ist
Bist du ein Ossi oder ein Wessi?
Oh, wie ich diese Frage hasse.
26 Jahre ist die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten nun inzwischen alt. Und machmal scheint es mir, als ob Deutschland noch immer nicht zusammengewachsen ist. Zu groß sind die Unterschiede immer noch, ob es nun um die Denke der Menschen in Sachen Vorurteile und Klischees geht oder um das unterschiedliche Gehaltsniveau.
Geboren als Ossi
Ich bin in der ehemaligen DDR geboren. Genauer gesagt im Umland von Berlin. Ein kleines 500 Seelen Dorf. Als die Mauer fiel, war ich 13 Jahre alt. Es darf nun also jeder selbst nachrechnen, wie alt ich heute bin. 😉 13 Jahre und damals waren wir lang nicht so weit wie die Teenager heutzutage. Mit 13 war man damals eigentlich noch ein Kind. Zumindest war es so bei mir. Ich erinnere mich an eine Kindheit, in der ich auf Bäume geklettert bin, in Sträuchern Verstecke gebaut hat, Jungen vors Schienbein geschlagen habe und mit blutig aufgeschlagenen Knien heulend nach Hause gerannt bin.
Von der DDR als Unrechtsstaat habe ich nichts mitbekommen. Für mich war es normal, wenn man bestraft wurde, wenn man in Geschichtsbüchern russische Politiker mit Schnurrbärtchen versehen hat. Für mich war es normal, für gewisse Lebensmittel in den Konsums anzustehen.
Von Osten nach Westen
Als meine Eltern im Januar 1990 beschlossen haben, nach Westdeutschland zu flüchten, habe ich mich gefreut. Denn am Abreisetag hätte ich eine Physikarbeit schreiben müssen. Ich habe natürlich nicht dafür gelernt und habe mich darüber wie ein Schnitzel gefreut. Meinen Freunden durfte ich damals aber nichts von unserem „Umzug“ erzählen. Zu groß war noch die Angst, „aufzufliegen“ und dafür bestraft zu werden.
Da saßen wir also nun in unserem Trabi (ja, Klischee erfüllt, wir hatten einen Trabi), randvoll gefüllt mit unseren wenigen Habseligkeiten und erklärten den Grenzbeamten, dass wir in Bayern Urlaub machen wollten. Ob sie uns geglaubt haben oder nicht, weiß ich nicht. Sie ließen uns passieren. Damals war das noch ein gewisses Risiko. Die Mauer war zwar gefallen, aber die DDR gab es ja noch und eine Ausreise war immer noch nicht ganz legitim.
Im Westen viel Neues
Wir hatten Glück. Dadurch, dass Freunde meiner Eltern bereits in Bayern waren, blieb uns ein längerer Aufenthalt in dem Auffanglager erspart. Übergangsweise wohnten wir bei den Freunden meiner Eltern. Meine Eltern fanden auch schnell Arbeit und wir hatten bald eine eigene Wohnung. Und ich konnte es irgendwie immer noch nicht fassen, dass ich jetzt in Bayern bin und dort leben sollte, in einer Kleinstadt von 8.000 Einwohnern.
Ich hatte ganz gute Noten und konnte daher nach einem kurzen Aufenthalt in der Hauptschule aufs Gymnasium wechseln. Ich wurde allerdings eine Klasse nach unten eingestuft, da in der 7. Klasse, in der ich dann war, gerade Französisch als neue Fremdsprache dazu kam. So musste ich nicht ganz so viel nachlernen.
Bin ich hier richtig?
Ich fühlte mich wie auf einem fremden Planeten. Ich verstand die Sprache bzw. den Dialekt nicht (bayerisch war für mich wie eine Fremdsprache) und wurde von allen angeglotzt. So viele Ossis hatten die Bayern wohl noch nicht gesehen. Ich war ein Exot und so fühlte ich mich auch. Ich war eh nicht gerade der extrovertierteste Teenager und dann stand ich plötzlich im Mittelpunkt. Ätzend.
Ich will nicht behaupten, dass die Anfangszeit einfach war. Alles war ja irgendwie anders als ich es die letzten 13 Jahre kannte. Aber ich fand nach und nach Freunde, die teilweise sogar heute noch meine Freunde sind und irgendwann hatte ich mich an die neue Umgebung gewöhnt.
Bin ich jetzt ein Wessi?
Irgendwie fühlte ich mich mit den Anfangsjahren in Bayern auch zerrissen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich positionieren, mich festlegen muss. Bin ich nun Ossi oder Wessi? Die Diskussionen darum und die Einstellungen vieler Menschen, die andere danach kategorisiert haben, haben mich verunsichert. Bin ich nicht einfach nur Deutsche? Oder bin ich nicht einfach nur ein Mensch?
Ich hasste Schubladendenken. Ich hasste es, wenn ICH in irgendwelche Schubladen gesteckt wurde. Warum machen Menschen das? Fällt es ihnen dann einfacher, fremde Menschen in gut und böse, in bedrohlich und friedlich, in dumm oder nicht dumm einzustufen?
Ich glaube, dass mich dieses Schubladendenken gelehrt hat, andere nicht in Schubladen zu stecken. Weil es verletzt und weil es den einzelnen Menschen nicht gerecht wird. Ich glaube, dass mich meine Erfahrungen als Ossi, als Fremde in Deutschland, offener gemacht hat.
Die große weite Welt
Irgendwann wurde die Kleinstadt, in der ich lebte, zu klein. Also zog ich nach dem Abitur und meiner Ausbildung nach München. Hinaus in die große weite Welt… Ich war ja so mutig… hörte ich von allen Seiten. Wieso denn das, fragte ich mich. Ich ziehe doch nur in einer Großstadt. Was ist daran so mutig? Ich habe schließlich schon ganz andere Sachen geschafft.
Ossi und Wessi waren in München nicht so ein großes Thema. Man hatte sich wohl irgendwann daran gewöhnt. Und in München gab es eh viele „Zugezogene“. Ich war eben eine von ihnen. Inzwischen lebte ich länger im Westen als im Osten. Ich fühlte mich mehr als Wessi. Der Osten mit seinen Menschen war weit weg.
Back to the roots?
Bis zu dem Tag als ich von München nach Berlin zog. Eigentlich zunächst in eine Kleinstadt – die Stadt, in der ich als Kind zur Schule ging. Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper. Mir war alles fremd, dabei wurde ich hier doch geboren. Alles kam mir eng und eingefahren vor, so unflexibel. Kurzum, meine alte Heimat war nicht meine Heimat.
Bald darauf hat es mich dann nach Berlin verschlagen. Komischerweise schlugen mir hier viel mehr Ossi- / Wessivorurteile entgegen als in Bayern. Ich hatte hier wieder das Gefühl, dass ich mich positionieren muss, sogar noch stärker wie zuvor. Bin ich ein Ossi oder ein Wessi? Das kam mir komisch vor. Jetzt waren gut 20 Jahre nach der Wiedervereinigung vergangen und man diskutierte immer noch über Wessis und Ossis.
Ich bin ein Mensch
Sollte sich das nicht endlich gelegt haben? Was unterscheidet Wessis von Ossis denn? Sind wir denn nicht alle Deutsche? Sind wir denn nicht alle nur Menschen? Ich fühle mich unwohl mit diesen Kategorien. Menschen, die andere nach diesen Kategorien einstufen, sind mir suspekt. Aber sicherlich haben sie auch ihre Gründe dafür.
Made in Germany?!
Ich bin „made in Germany“. 😉 Ja, irgendwie schon, denn ich bin hier geboren. Ich bin jedoch weder Ossi noch Wessi. Ich bin einfach ich.
Dieser Beitrag ist im Rahmen der Blogparade „Made in Germany“ von Caro von Leben à la carte entstanden.
Bist du auch made in Germany? 😉 Was ist deine Geschichte?
Caro
9. Oktober 2016 13:23Hey Daniela 🙂
Vielen Dank für deinen wirklich sehr, sehr schönen Beitrag – freut mich, dass auch so persönliche Geschichten eintrudeln. Ich habe deine mit Freude gelesen und finde dein Fazit klasse: Menschen lassen sich eben nicht in Kategorien aufteilen 😉
Mein Stiefpapa ist auch aus der DDR, ein paar Freunde ebenso. Abgesehen davon, dass meine Mama dadurch jetzt auch schon Soljanka-Profi (leeecker!) ist und man mit Klischees ja generell immer wunderbar Witze machen kann, ändert sich in meinem Leben und beim Umgang miteinander dadurch aber rein gar nichts 😀
Ich war letztens gerade im DDR-Museum in Berlin und hab mir mal wieder etwas zu der ostdeutschen Geschichte angeschaut (inkl. Trabi-Simulator, ich bin auch ganz ehrlich nur gaaanz selten vor den Plattenbau gefahren, haha). Wirklich total interessant – zumal ich ja schon zu denen gehöre, die beim Mauerfall noch nicht mal geboren waren 😉
Dank dir nochmal,
schöne Grüße aus Griechenland,
Caro
Daniela Wiese
9. Oktober 2016 18:45Freut mich, dass mein Beitrag zu deiner Blogparade gut angekommen ist. 😉 Und danke für deinen schönen Kommentar.
Jaja, die gute alte Soljanka. Ich mag die auch nur von meiner Mutter. 😉 Ansonsten ist das eher nicht mein Ding. Aber es gehörte eben dazu, genauso wie das Jägerschnitzel. Das ist natürlich kein Jägerschnitzel mit Pilzen, wie man es in Westdeutschland kennt. Aber alle „Ossis“ wissen, was damit gemeint ist. 😀
Ich stell mir dich jetzt gerade im Trabi Simulator vor. Muss ein riesen Spaß gewesen sein. 😀
Falls du es noch nicht kennst und dich mit der negativen DDR Seite auseinandersetzen möchtest, kann ich dir das ehemalige Stasi Gefängnis in Berlin Hohenschönhausen empfehlen. Ich finde, das hinterlässt einen guten Eindruck, wie die DDR eben war, wenn man auf der „Roten Liste“ stand. Mit diesem Hintergrundwissen kann sich eigentlich niemand mehr die DDR zurückwünschen, wie es vielleicht einige tun.
Danke für deine Blogparade, sie hat mich zu diesem Beitrag inspiriert. Wer weiß, vielleicht hätte es ihn sonst nie gegeben. 🙂
LG Daniela
Barbara
9. Oktober 2016 16:24Manchmal denke ich, das braucht noch 1-2 Generationen, bis das Thema „vergessen“ ist, in dem Sinne, dass man nicht mehr fragt, in welchem Teil jemand geboren ist. Kürzlich wurde ich mal Zeuge davon, wie jemand gefragt wurde, und der jemand war erst Anfang 20. Da gab’s die DDR wirklich nicht mehr. Und es ist ja auch schön, dass es Unterschiede gibt. Die gibt’s genauso zwischen Bayern und Ostfriesland.
Daniela Wiese
9. Oktober 2016 18:48Stimmt, die Bayern gegen die Preußen. Ist auch so ein Thema. 😉 Vielleicht hast du Recht und wir brauchen wirklich noch ein wenig Zeit, bis diese Unterschiede aus den Köpfen sind. Vielleicht passiert’s auch nie. Lassen wir uns überraschen. 😉
Vielen Dank für deinen Kommentar und LG
Daniela
Christina
11. Oktober 2016 19:57Ziemlich spannende Geschichte. Ich war bei der Wende noch zu klein und habe das alles nicht so mitbekommen. Mit deiner Einstellung hast du vollkommen recht. Was soll das? Ossi, Wessi, ist doch vollkommen wurscht 🙂
Liebe Grüße
Christina
Daniela Wiese
11. Oktober 2016 22:32Ich fühl mich schon fast wie ein Fossil. 😉 Eigentlich ist die Zeit der DDR schon so lange her und trotzdem habe ich es miterlebt und es ist teilweise wie gestern. Schon komisch. Hoffen wir mal, dass es in den Köpfen aller Menschen ankommt, dass es egal ist, wo man geboren ist und wo man herkommt. Es zählt der Mensch.
Danke für deinen Kommentar. 🙂
LG Daniela
Lisa
13. Oktober 2016 20:45Toller Beitrag. Ich finde dieses Ossi/Wessi Gehabe auch völlig daneben. Es gab Unterschiede, klar, aber heute sind wir ein Land. Und viel mehr, das was du betonst, ist jeder auf seine Art und Weise richtig. Egal, woher er kommt auch grenzübergreifend!
Daniela Wiese
13. Oktober 2016 21:11So ist es. 😉 Kann man auch auf Bereiche außerhalb Deutschlands ausweiten.
Danke für deinen Kommentar. 🙂
LG Daniela
Azu
18. Oktober 2016 22:09Hallo
Sehr schön beschrieben! Nicht Ossi oder Wessi-sondern Mensch!!!
Ich bin 1989 mit 19 Jahren nach Bayern gekommen ! Meinem damaligen Freund hinterhergereist!
Ich kam mir auch fehl am Platz vor und hatte schlimmes Heimweh!
Auch heute, obwohl ich eine eigene Familie habe, vermisse ich meine Eltern und meine Schwester!
Meine Tochter ist oft sehr belustigt über meine Kindheitserzählungen.
Allerdings glaube ich, dass es allen Kindern so geht, wenn Eltern oder Großeltern von ihrer Kindheit erzählen!
Sehr schöne Seite!
Ich werde öfter mal vorbei schauen !
Liebe Grüße aus München
azu
Daniela Wiese
18. Oktober 2016 23:17Hallo azu,
uii, da hast du bestimmt auch einiges erlebt, wenn du bereits 1989 nach Bayern gegangen bist. War es denn bei dir so problemlos möglich? Wenn du magst, kannst du es mir ja auch privat schreiben. Würde mich schon interessieren. Wir haben ja ähnliches erlebt. 🙂
Das mit dem Heimweh kann ich auch nachvollziehen, obwohl ich ja meine Eltern bei mir hatte. Aber meine Großeltern und Freunde waren weit weg. Auch wenn ich das ganze am Anfang auch spannend fand – war ja auch ein kleines Abenteuer – war es anfangs schon sehr anstrengend. Aber auch diese Episode hat mich ja zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt bin und darauf bin ich auch stolz.
Ganz liebe Grüße nach München – München vermisse ich jetzt auch (noch), eine wunderbare Stadt
Daniela
Stefanie
17. November 2016 13:10Ein sehr schöner und interessanter Bericht. Ich bin aus Bayern, ich hatte eine Klassenkollegin die aus dem Osten war. Allerdings war das lange bevor die Mauer aufgemacht wurde. Sie lebte mit ihren Eltern im Asylantenheim. Ich habe leider ihren Namen vergessen. Ich war damals so fasziniert, weil ich ihr einen wirklich sehr billigen Plastikkorb geschenkt hatte und sie sich gefreut hat wie ein Schneekoenig. Als ich sie einmal besucht hatte, war sie total geknickt weil der Henkel abgebrochen war. Ihr Vater hat dann den Korb mit einem Feuerzeug repariert. Ich war fassungslos. Im Westen wurde sowas einfach weggeschmissen und was neues gekauft.
Daniela Wiese
17. November 2016 23:12Danke für dein Kommentar und dass du deine kleine Geschichte geteilt hast. Es war wohl für alle Seiten damals eine lehrreiche und interessante Zeit. 🙂
LG Daniela